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Free Luv Society

    This is Rorschach not Romanshorn!

    / Vor einigen Wochen stiess ich beim Stöbern auf Discogs, einer online Musik-Datenbank, auf eine Compilation mit dem Namen, COMING UP FOR AIR – BANDS FROM FAR EASTERN SWITZERLAND. Eine Doppel 7-inch mit Songs von acht verschiedenen Bands aus der Region Rorschach. Erschienen 1991, in einer Auflage von 300 Stück.
    Da ich in Rorschach aufgewachsen bin, war mein Interesse sofort geweckt. Von den acht Bands kannte ich nämlich nur zwei: The Roman Games und Former Franks, von den anderen sechs hatte ich noch nie gehört. Zumal für mich 1991, mit 11 Jahren, Rockmusik noch ausschliesslich auf MTV stattfand, aber sicher nicht in meiner eigenen Stadt. Gespannt habe ich also die Platte bei dem privaten Verkäufer auf dem Discogs-Marktplatz bestellt und als ich die Scheibe wenige Tage später in den Händen hielt, fiel mir als erstes der Name des Labels auf, Free Luv Society.
    Das habe ich doch schonmal gesehen!? Genau – auf den Alben Reading und The Crimes of Small Talk von The Roman Games. Darüber wollte ich mehr erfahren. Roman Elsener gab mir den Kontakt zu Pat Federli, dem Gründer des Labels. Also schrieb ich Pat an und wir trafen uns anschliessend zu einer Fragerunde, Spurensuche und Zeitreise, über eine fast 30 Jahre alte Platte und die damalige Szene rund um Rorschach.

    Fishs Plattenkiste


    Pat, stell dich doch bitte kurz vor. Wo bist du aufgewachsen und welches waren deine ersten Berührungspunkte mit Musik?
    Aufgewachsen bin ich in Rorschach – dort habe ich meine ganze Jugend verbracht und ab 1980 die Musik, wie ich sie auch heute noch liebe und höre, für mich entdeckt. Angefangen hat das, wie bei vielen anderen, zuerst mit den Beatles und mündete dann ab 1982 in die Neue Deutsche Welle. In dieser Zeit wurde auch die Musik der Punk und New Wave Bands zu uns gespült. Wir lasen die ersten Berichte über Punk in der Bravo oder vielleicht mal im Stern, der bei den Eltern rumlag. Diese Berichte und Fotos über die Bands haben mich absolut fasziniert und stark angezogen. Im Bereich der Neue Deutsche Welle haben mir immer eher die Sachen gefallen, die in den Punk und New Wave Rahmen gefallen sind – Fehlfarben oder DAF zum Beispiel.
    Als dann DRS-3 mit Sounds startete, habe ich die Sendung fast jeden Abend fanatisch verfolgt und gehört. Das war damals neben den Plattenläden die einzige Quelle, auf der wir neue Musik entdecken konnte. Ich sass jeweils mit dem Notizbuch neben dem Radio und habe mir die Bandnamen notiert. Etwa zur gleichen Zeit habe ich in St.Gallen Bro Records, damals in der Katharinengasse, entdeckt. Ich glaube man kann Alex vom Bro wirklich nicht genug dafür danken, was er für die Musikszene und die Fans der Region getan hat. Es gab so viele Titel bei ihm im Laden, die wir sonst nirgends in der Region bekommen hätten.
    In Rorschach habe ich lange niemanden gekannt, der ähnliche Musik hörte. Bis ich eines Tages mitbekam, dass es eine Band gab, die stilistisch in die Richtung ging, die mir gefiel. Das waren Perfumed Garden – Roman Elseners erste Band. So habe ich 1983 Roman und etwas später Lorenzo, der dann später bei den Valets Gitarre spielte, kennengelernt. Durch die beiden ergaben sich für mich nochmals so viele neue musikalische Inputs.

    Indie war noch eine Geisteshaltung!

    Was war für dich damals der Antrieb ein eigenes Label zu gründen?
    Das Label kam erst viel später. Mein Musikgeschmack wurde im Laufe der Zeit immer breiter. Ende der 80er war ich stark in der Hardcore-Szene verankert, habe aber auch weiterhin die Indie Sachen gehört.
    Das Label entstand eigentlich einfach daraus, dass ich Romans Songs immer super fand. Damals veröffentlichte er seine Sachen noch auf Kassetten und ich fand, dass es die Songs verdient haben, auch in einem Plattenregal zu stehen! Zumal alle anderen um uns herum auch Platten gemacht haben. GUZ hat zum Beispiel auf einmal Platten gemacht, obwohl er ein überzeugter Kassetten-Täter war.
    Begeistert und euphorisch von der Idee, die Musik meiner Freunde zu veröffentlichen, bin ich sehr blauäugig in das Unterfangen gestartet. Die erste Veröffentlichung war die Compilation Coming Up For Air, für die ich die Pressung vorfinanziert habe. In den folgenden zwei Jahren, kam noch die Roman Games LP The Crimes of Small Talk und die EP Reading raus.
    Leider hat mich damals der nicht-kreative Prozess, sprich das Bürokratische an der Label-Arbeit, nicht so interessiert. Ich dachte auch, dass es ein Selbstläufer wird. „Lass mich eine Roman Games LP an Sounds schicken – die spielen einige Songs davon und dann läuft das und wird ganz gross.“ Das hat dann leider nicht ganz so hingehauen. Trotzdem verkaufte sich Crimes sehr gut und durch die vielen Konzert, die die Roman Games spielten, entstand dann schlussendlich doch etwas Grosses, was über die Region hinaus bekannt wurde.

    Die Compilation strahlt optisch eine klare Do-It-Yourself Ästhetik aus. Entsprang das für euch eher aus Not oder Überzeugung?
    Beides! Weil man Rorschach damals nicht wahrnahm, fand ich, dass sich das ändern muss. Und im Nachhinein hätte ich auch viel früher damit beginnen sollen – das ärgert mich heute ein wenig. All diese guten Bands und Musiker hätten es verdient, dass ihre Songs rausgebracht werden. Neben den Bands auf der Compilation waren da noch die Readymades, Up! Arts, Here Hare Here oder Boiled Stanleys, bei denen Romans Bruder, Marcel an der Gitarre mitspielte. Oder die Valets, die hatten wahnsinnig gute Songs und waren eine so grossartige Live-Band!
    Das Ganze entstand also ganz klar aus eigenem Antrieb und es haben damals auch viele Freunde daran mitgearbeitet – Adrian Elsener hat alle drei Artworks für die Platten gestaltet und Peter Niedermeier hat den Mix für die Compilation gemacht. Der Name Free Luv Society ist als Verneigung an die Indie-Rave Sachen der 90er zu verstehen.

    Die Bands waren alle viel zu schräg und zu vertrackt für die grosse Masse.

    Auf der Innenhülle ist zu lesen, dass es damals in der Region nur wenige Orte für Live-Konzerte gab. Wie habt ihr euch trotzdem organisiert und wie sah der Band-Alltag aus? Wo traf man sich?
    Am relevantesten für Live-Konzerte war ganz klar die Grabenhalle in St.Gallen. Das Palace gab es damals ja noch nicht. In Rorschach gab es den Galluskeller – dort haben wir auch den Platten-Release für Coming Up For Air gefeiert. Was für ein Abend! Alle acht Bands, die auf der Compilation drauf sind, haben live gespielt. Bei so vielen Bands, bestand dann das Publikum praktisch nur aus den Musikern selbst. Wir mussten uns damals halt alles selber zusammensuchen und organisieren – es war nicht ganz so einfach. Was man auch bedenken muss ist, dass die Akzeptanz dieser Art Musik damals natürlich nie so gross war wie heute. Die Bands waren alle viel zu schräg und zu vertrackt für die grosse Masse. Auch internationale Bands wie The Jesus and Mary Chain kamen nie im grossen Rahmen vor. Indie war noch eine Geisteshaltung – heute ist es eine Musikrichtung.

    Verband die Leute dieser acht Bands auch abseits der Musik eine Freundschaft?
    Definitiv – man kannte und schätzte sich untereinander. Es gab keinen Unterschied zwischen einer NewWave und einer Hardcore Band. Wir verfolgten alle dasselbe Ziel. Mit vielen habe ich auch heute noch Kontakt. Mit Roman und Marcel Elsener oder mit Sam von den Valets – heute Alroys. Frank von den Former Franks oder Peter Bader von Wornout – heute Brut. Ich freue mich immer sehr, wenn ich jemanden aus dieser Zeit wiedersehe.

    Was hat es mit der Aussage This is Rorschach not Romanshorn auf sich?
    Als auf DRS-3 ein Song von The Roman Games gespielt wurde, hiess es anschliessend sie seien aus Romanshorn. Und ich dachten nur – NEIN!
    Klar war Musik aus der Ostschweiz stark geprägt von GUZ aus Romanshorn. Er war omnipräsent und auch eine Art Lichtgestalt. Absolut zurecht! Aber wir wollten ebenfalls wahrgenommen werden und uns dadurch abgrenzen. Das war wieder dieser Aspekt – schaut doch her wie gut Unsere Bands sind! Und deshalb: This is Rorschach not Romanshorn!

    Fishs Plattenkiste


    Bist du heute noch musikalisch unterwegs?
    1994 habe ich mit Thomas Moelch von Off the Disk Records in Luzern den Plattenladen Dead End Records eröffnet, der ungefähr drei Jahre existierte. Etwas später begann ich mit einem Kollegen aus Stuttgart, Touren für amerikanische Bands zu organisieren. Die letzte die wir machten, war für die Band Rival Schools. Das ist aus derselben Dynamik entstanden wie das Label. Die Bands, die wir liebten, kamen selten in unsere Region für Konzerte. Also haben wir die Booking-Agentur Drive to Play gegründet und eben diese Bands hierhergebracht.
    Heute bestreite ich immer am Jahresanfang, zusammen mit Marcel und Hampi, im Palace den Dream! Pop! Disco! Abend – an dem wir unsere Lieblings Indie-Songs aus den 80ern auflegen. Das ist immer ein persönliches Highlight! Ansonsten bin ich heute immer noch enthusiastischer Fan und Plattensammler und immer der Gitarrenmusik treu geblieben.


    Side A: The Valets – Holocaust Ride, Margin Walkers – Snowdark
    Side B: Slow Burn – Mindwar, Former Franks – Jerry Rolls Gum Drops
    Side C: The Roman Games – Head of the Party, Jeanne D’Arc – Take Alice
    Side D: The Lifeguards – 2×2, Wornout – No Reason Why


    Coming Up For Air, Bands From Far Eastern Switzerland – Compilation
    Bands: The Valets, Margin Walkers, Slow Burn, Former Franks, The Roman Games, Jeanne D’Arc, The Lifeguards, Wornout
    Doppel 7-inch
    Veröffentlicht: 1991
    Limitiert auf 300 Stück
    Artwork: Adrian Elsener
    Engineer und Mix: Peter Niedermaier
    Label: Free Luv Society
    Coming Up For Air auf Discogs