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Tüchel

    Mehr davon

    / In einer Zeit, in der morgen schon der nächste Trend anrollt, überzeugt diese Band mit Konstanz. Weniger «heute hier, morgen dort», mehr «gekommen um zu bleiben». Wer an St.Gallen und Punkrock denkt, kommt an einer Truppe nicht vorbei:
    Tüchel. Punkrock seit 1993. Trendfrei und handgeknüpft.
    Ich traf sie in ihrem Proberaum, entlockte ihnen spannende Neuigkeiten zum kommenden Album und durfte mir ihr Live-Set zur Plattentaufe anhören.

    Tüchel bei der Probe zur Plattentaufe

    Tüchel, ihr habt gerade erst euer 25-jähriges Bestehen mit einem fulminanten Konzert am Kulturfestival gefeiert. Das nächste Highlight steht nun kurz bevor. Euer neues Album more and more. Was steckt hinter dem Titel?
    Wir hatten jede Menge Ideen und Vorschläge für den Albumtitel. Deshalb stecken vor allem lange Diskussionen dahinter.  More and More hat sich schlussendlich aber demokratisch durchgesetzt. Es ist auch der Titel des ersten Songs und thematisiert die vorherrschende Wegwerfgesellschaft. Als Albumtitel passt More and More aber auch perfekt zur aktuellen Band-Situation: von Tüchel gibt es mehr – wir sind noch lange nicht am Ende.

    Aufgenommen habt ihr wieder in denselben Räumen, in denen auch euer letztes Album Mala Vida entstand. Damals bei Sonal, earthbeat records. Heute bei Toby  im Pit Stop Music Studio. Wie verlief der Aufnahmeprozess?Die letzte Live-Show spielten wir im November 2016 in der Grabenhalle. Das war das 40 Years of Punk Jubiläum, zusammen mit den Lurkers aus England. Danach haben wir bewusst eine Live-Pause eingelegt. Denn es ist schwierig, uns um neue Songs zu kümmern und zusätzlich immer wieder ein Live-Set zu proben. Also hiess es dann: ab in den Proberaum und schreiben. Das war aber auch eine Krux, da wir so überhaupt keine Stubenhocker sind, sondern uns als Live-Band verstehen. Dann kam auch noch der selbstauferlegte Zeitdruck dazu. Wir wollten unbedingt für das diesjährige Jubiläum eine neue Platte raushauen.
    Die Songs haben wir dann bei Toby in zwei Sessions eingespielt – im Dezember 2017 und im April 2018. Dabei waren wir nur selten alle gemeinsam im Studio. Hüe und Marin haben die Basis-Tracks eingespielt und somit den Grundstein gelegt. Danach kamen, Roy mit dem Bass, Wagners Gitarre und Doppelmeters Gesang dazu. Da die Songs alle komplett neu sind, war es sehr herausfordernd und wir wollten es seriös durchziehen. Im Vergleich zu unseren früheren Aufnahmen, bei denen die Tracks immer schon fix standen wenn wir das Studio betraten, war das diesmal eine komplett neue, ungewohnte Herangehensweise für uns.
    Studioarbeit ist per se schon eine Ausnahmesituation. Wenn du dann, bei noch nicht definierten Parts, erst die richtigen Anschläge und Akkorde auf die Schnelle einstudieren musst, wird es richtig nervenaufreibend. Wagner hatte es da besonders schwer, da er als letzter dran war und die Solis reinhauen musste. Wir hielten auch hartnäckig an den bestehenden Songs fest, da wir schlicht keine Zeit gehabt hätten nochmals anzufangen.

    Das neue Album enthält 10 Songs. Was dürfen die Fans erwarten? Klassischen Tüchel-Sound, oder gibt es Überraschungen?
    Die grösste Überraschung ist sicher Shooting Star. So poppig und eingängig klangen Tüchel noch nie! Doppelmeters Gesang ist sehr melodisch, und der Text persönlich. Deshalb sticht der Song sicher etwas hervor. Ansonsten sind die Songs zwar homogen, aber definitiv auch facettenreicher. Wir haben ganz bewusst neue Nuancen reingebracht – wuchtigere Anfänge und mehr Groove – es sind auch nicht mehr alle Songs so schnell. Es gibt einige Details und Finessen, an denen sich Tüchel so noch nie versucht haben. Das Album wirkt dadurch abwechslungsreicher. Zusätzlich gibt es seit Jahren wieder mal einen deutschen Song, Alte Laster, komplett von Roy komponiert.

    Wie entsteht ein Tüchel Song? Sind die Aufgaben nach so langer Zeit klar verteilt?Die Wahl der Instrumente ist klar verteilt, da wird nicht mehr daran gerüttelt (Gelächter). Hauptsongschreiber ist Gitarrist Hüe, der über die Jahrzehnte massenweise Song-Ideen angehäuft hat. Wenn ich ein Gitarren-Riff habe das funktioniert, setzte ich mich danach mit Marin zusammen. Wir tüfteln am Schlagzeug und anschliessend kommt der Entwurf dann in den Proberaum.
    Zusammen mit der Band entwickelt und verändert sich der Song – mal mehr, mal weniger. Einige knallen und funktionieren von Anfang an super – andere durchlaufen eine sehr lange Entwicklung. Die Grundidee zu Fifteen Minutes, der auf dem neuen Album ist, liegt zum Beispiel schon Jahre zurück.

    Wer hat das Cover gestaltet?Ein alter Bekannter von uns: Gössi. Er gestaltet schon seit Jahren Konzertplakate für Punkbands und ist Sänger bei den Möped Lads. Wir haben ihn ohne jegliche Vorgaben angefragt und sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Anfangs war die Illustration nur als Shirt-Design gedacht. Nun können wir es aber als durchgängiges Konzept verwenden. Für die Shirts, das Albumcover und die Plakate. So etwas hatten wir in unserer Geschichte noch nie.
    Den abgebildeten Clown kennen die Tüchel-Fans und Gössi hat ihn hier perfekt in Szene gesetzt. Er ist jetzt älter, abgewrackter, die Schminke ist nicht mehr frisch und er sinniert mit der Kippe im Mund nostalgisch über die guten alten Tage.

    Das Artwork zu more and more, gestaltet von Gössi

    Punk geht auch immer auf Konfrontation mit dem System. Bestehende, eingefahrene Werte werden hinterfragt. Welche aktuellen politischen Themen verarbeitet ihr auf dem neuen Album?Es gibt einige Botschaften auf dem Album. Ob sie aktuell sind oder nicht spielt weniger eine Rolle, wichtig ist, dass sie relevant sind! Früher schrieben wir eher sozialkritische Texte. Heute ist es auch mal Zeit etwas persönlicheres zu bringen, so wie bei Shooting Star oder Up to You, der ein Thema behandelt das sicher viele von uns kennen – es scheint, dass andere immer besser wissen, was gut für dich ist als du selbst.
    Politischer wird es in Food for Thought – der die Spekulation mit Nahrungsmitteln thematisiert oder in Law for Sale: wenn sich einige Wenige, die viel Geld haben, mehr Rechte erkaufen können, sind vor dem Gericht eben doch nicht mehr alle gleich.

    Eine neue Platte will auch getauft werden. Was habt ihr geplant?Dafür haben wir uns etwas ganz spezielles ausgedacht. Wir spielen zwei Shows an einem Abend. Die zwei Konzerte finden in ganz unterschiedlichen Locations statt – in der Südbar und danach im Schwarzen Engel. Es ist uns wichtig, dass sich die beiden Locations nicht gegenseitig das Publikum streitig machen. Und wir wollen nach der grossen Kulturfestival-Show wieder zurück in die kleinen Clubs – da wo alles begann.
    Die Taufe steigt am Mittwoch 31.10.2018. Im Engel werden wir von bear pit aus St.Gallen supportet.

    Die Plattentaufe findet an einem Abend in zwei Locations statt.

    Euer erster Long-Player Rape thy Nation kam 1998, also vor genau 20 Jahren,  raus. Spielt ihr live noch Songs aus dieser Zeit?Ja, da gibt es einige. Smär, Six Hail Marueritas oder Commercial Break finden immer wieder den Weg auf die Set-List. Es kommt aber natürlich immer auch darauf an, wo und wie lange wir spielen – als Hauptband oder als Vorband. An der Plattentaufe spielen wir More and More komplett durch und runden das Set mit einigen Klassikern ab.

    Der erste Tüchel Long-Player Rape thy Nation von 1998

    All eure Veröffentlichungen waren immer komplette Do-it-Yourself Produktionen. Gab es je Ambitionen mit einem Management zusammenzuarbeiten?Das ist leider eine etwas verflixte Sache. Früher, als wir noch genügend Zeit hätten aufbringen können, brachten wir unsere Ärsche nicht hoch. Wir wären damals auch gar nicht zu managen gewesen. Wir waren Punk-Kids und es war alles sehr chaotisch und wild. Natürlich wäre es cool gewesen, wenn mal jemand auf uns zugekommen wäre und uns unter die Arme gegriffen hätte. Das ist aber nie passiert, ansonsten wären wir vielleicht weiter gekommen. Man muss auch bedenken, dass die Punk-Welle und die Art Musik wie wir sie spielen, eine ganze Weile einfach niemanden interessierte. Heute sind wir nun alle fest an anderen Stellen eingebunden und die verfügbare Zeit ist beschränkt. Also stemmen wir das Ding weiter aus eigener Kraft – Tüchel ist noch lange nicht am Ende!


    Tüchel – Punkrock seit 1993
    Doppelmeter: Gesang
    Hüe: Gitarre
    Roy: Bass
    Wagner: Gitarre
    Marin: Drums
    Alben: Contol thy Tüchel (Tape 1994), Clean it up (Tape 1995), Eat shit (7“ 1996), Kill the Clown (Tape 1997), Rape thy Nation (1998), Drive (2002), Mala Vida (2012), Better Day (7“ 2014), More and More (2018)
    www.tuechel.com
    www.goessi-art.ch


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